Man erzählt im alten Mähren, dass es eine Winternacht gab, die so hart war, dass selbst die erfahrensten Bauern dachten, das Licht würde nie zurückkehren. Der Wind peitschte über die Felder, das letzte Fass im Dorfkeller war beinahe leer, und die Menschen saßen schweigend in der Schenke, während draußen der Frost an den Fensterrahmen nagte.
Da sprang die Tür auf – lautlos, als habe der Winter selbst kurz den Atem angehalten. Ein Mann trat ein. Groß, mit breitem Rücken, sein Fellmantel glänzte im Feuerschein wie dunkles Gold. Sein Blick war warm, fast tröstlich, und in seiner Hand hielt er ein Trinkhorn, aus dem ein Duft stieg, der sofort jeden im Raum innehalten ließ: schwer, würzig, verheißungsvoll.
Der Wirt stellte ihm einen Platz bereit und fragte: „Fremder… was führt dich in dieser Nacht zu uns?“ Der Mann lächelte, setzte sich und hob sein Horn leicht an. „Ich bringe euch, was ihr verloren habt: die Freude am gemeinsamen Trinken.“ Er nannte seinen Namen nicht sofort. Doch als die Humpen sich wie von selbst füllten, als Wärme und Gelächter die Schenke zurückeroberten, da wurde es den Leuten klar: Dies war kein gewöhnlicher Gast, sondern Radegast, der alte Gott der Gastfreundschaft.
Als die Sonne am nächsten Morgen in den Raum fiel, war er verschwunden. Nur sein Platz am Tisch blieb – und das Gefühl, dass er irgendwann zurückkehren könnte, wenn man ihn wieder braucht. Bis heute lassen die Leute in manchen mährischen Schenken einen Humpen stehen. Nicht für einen Menschen – sondern für den, der einst kam, als alle Hoffnung schwand.
Die historischen Informationen
Die Legende um Radegast stammt aus dem slawischen Kulturraum, besonders aus Böhmen und Mähren. Er wurde als Gott der Gastfreundschaft, der Gemeinschaft und der Feste verehrt – in manchen Regionen auch als Schutzgeist des Bieres. Historische Darstellungen zeigen ihn oft mit Trinkhorn, Löwenmaske oder Helm. Warum ausgerechnet Bier? Im frühen slawischen Raum war Bier ein zentrales Ritualgetränk. Es wurde bei Erntefesten, Jahreszeitenfeiern und politischen Treffen gereicht. Bier war ein Symbol für Zusammenhalt – das gleiche Thema, das auch in der Sage mitschwingt. Aus diesem Grund existieren bis heute Statuen, Gipfelheiligtümer und die bekannte tschechische Brauerei Radegast, die seinen Namen trägt. Seine Figur steht sinnbildlich für das, was gutes Bier ausmacht: Gemeinschaft, Wärme und das Teilen eines Moments.
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