Die Bierwelt ist heute riesig und vielfältig – doch manche Stile sind fast verschwunden oder leben nur noch im Schatten vergangener Zeiten weiter. Wer kennt heute noch Steinbier, Dampfbier oder Grätzer? Diese alten Sorten erzählen Geschichten von regionalem Brauhandwerk, vergessenen Techniken – und manchmal von einer überraschenden Renaissance. Zeit für eine kleine Zeitreise:
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Steinbier – Gebraut mit heißen Steinen
Herkunft: Vor allem Süddeutschland und Alpenraum
Besonderheit: Hier wurden glühend heiße Steine in den Sudkessel gegeben – das karamellisierte den Zucker im Sud und sorgte für einen leicht rauchigen, süßen Geschmack. Gebraut wurde oft in hölzernen Bottichen – offen und ohne modernen Metallkessel.
Warum verschwunden? Mit der Industrialisierung setzten sich Stahlkessel durch – und der Aufwand mit den Steinen war vielen zu hoch.
Wo probieren?
Rieder Bier (Österreich): Braut regelmäßig Steinbier in Kleinstauflagen
Klosterbrauerei Andechs: Man munkelt, hier wurde gelegentlich experimentiert
Bei Craft-Brauereien wie Hertl oder Rittmayer tauchen gelegentlich Sondereditionen auf.
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Dampfbier – Das „bayerische Steam Beer“
Herkunft: Niederbayern (z. B. Zwiesel)
Besonderheit: Obergärige Hefe, aber bei kühleren Temperaturen vergoren – dadurch entstand viel Kohlensäure, die „dampfartig“ entwich. Es war das Bier der Glasmacher und Waldarbeiter im Bayerischen Wald.
Warum verschwunden? Nach dem Siegeszug der untergärigen Lagerbiere war Dampfbier „aus der Mode“.
Wo probieren?
Karmeliten Brauerei (Straubing) braut ein saisonales Dampfbier.
Schroll Bräu (Nabburg) oder kleinere Craftbrauer bringen vereinzelt Interpretationen heraus.
Vereinzelt bei Hausbrauereien und auf Craftbier-Festivals.
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Kotbusser – Das preußische Multitalent
Herkunft: Cottbus, Brandenburg
Besonderheit: Ein obergäriges Bier mit Gersten-, Weizen- und Hafermalz, dazu Honig und Zucker – also nicht reinheitsgebotskonform! Leicht, hell und trocken.
Warum verschwunden? Das Reinheitsgebot (ab 1906 reichsweit gültig) machte dem Bierstil den Garaus.
Wo probieren?
Freigeist Bierkultur (Sebastian Sauer) hat ein Revival gewagt.
Auch US-Craftbrauer wie Jester King brauten Varianten.
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Grätzer / Grodziskie – Das polnische Rauch-Weißbier
Herkunft: Grodzisk Wielkopolski (ehem. Grätz), Polen
Besonderheit: 100 % Rauchweizenmalz, obergärige Hefe, hoher Kohlensäuregehalt, sehr hell, leicht (meist 2,5–3,5 % Vol.) – mit einem feinen, rauchigen Charakter.
Warum verschwunden? Nach dem Zweiten Weltkrieg sank die Nachfrage; ab 1993 war das Original verschwunden.
Wo probieren?
Browar Grodzisk (PL) stellt seit 2011 wieder authentisches Grätzer her.
Auch in Deutschland: Störtebeker, Kehrwieder Kreativbrauerei, Brauerei Lemke (Berlin) mit Sonderbatches.
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Alte Biere neu entdecken
Diese fast vergessenen Stile sind keine Relikte – sie sind ein Schatz! Wer sie sucht, findet oft kleine Brauereien, die mit Hingabe altes Wissen bewahren. Manche Stile feiern sogar eine kleine Renaissance unter Craftbrauern.
Tipp: Schau mal auf Bierfestivals, bei regionalen Brauereien oder in spezialisierten Online-Shops wie bierlinie.de, beyondbeer.de oder direkt bei den Brauereien.

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